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Warte kurz

Warten ist kein leichtes Thema für mich. Ich merke, mit zunehmenden Alter bei alltäglichen Dingen ungeduldiger zu werden und dabei rangiert das Warten ganz weit oben in den Schlechte-Laune-Mach-Charts. Also ein guter Grund, sich dazu mal ein paar Gedanken zu machen. Es kommt fast täglich vor, dass ich auf etwas warte: einen Rückruf, eine E-Mail, ein Feedback oder vor Ort auf eine Person. Beim Warten spüre ich besonders deutlich, wie relativ die Zeit ist; so können sich drei Minuten locker wie eine Viertelstunde anfühlen.

Dass sich Wartezeit wie ein Kaugummi zieht, liegt wahrscheinlich daran, dass ich etwas erwarte: ein Ergebnis. Das kann ich nicht nur nicht selbst bestimmen, auch der Zeitpunkt liegt nicht in meiner Hand. Eine Qual für einen Kontrollfreak und oft auch für lässigere Zeitgenossen eine Geduldsprobe. Und möglicherweise hängen von dem Ergebnis eine ganze Reihe weiterer Konsequenzen ab; das Gedankenkarussel setzt sich in Bewegung und spätestens jetzt fangen auch Optimisten an, sich Sorgen zu machen. 

Zumindest greift das Warten vermeintlich in meinen Tagesablauf ein und raubt mir einen Augenblick die Eigenständigkeit. Der Moderator Horst Lichter berichtete in der Sendung Riverboat über eine Verabredung, zu der er unpünktlich erschien und ihm sein Gegenüber daraufhin sagte: „Herr Lichter, was sie soeben getan haben, können Sie in Ihrem Leben nie wieder gut machen. Sie haben mir von meinem endlichen Leben 20 Minuten unwiederbringlich gestohlen, die ich nicht selbstbestimmt verbringen kann.“ Lichter war davon so beeindruckt, dass er seither immer zu früh zu Terminen erscheint.

Fremdbestimmung und noch schlimmer „Warten als Machtdemonstration“, was wenig subtil eine Hierarchie vor Augen führt, sind die eine Seite der Medaille. Während die Soziologie den Zustand erforscht, ist die Psychologie auf der Suche nach Lösungen. Und es gibt eine ganze Reihe von Büchern zu dem Thema, wie beispielsweise von Andrea Köhler, die Warten als „geschenkte Zeit“ versteht und damit eine gegenteilige Sichtweise beleuchtet.

Apropos Literatur. Das wohl bekannteste Stück zu dem Thema ist „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett. Das mehrschichtige Theaterstück zeigt die Protagonisten Estragon und Wladimir, die sich während des endlosen Warteprozesses zwar die Zeit vertreiben, aber sich letztendlich nicht entscheiden, das Warten abzubrechen. 

Darin steckt für mich die wichtigste Erkenntnis: Warten selbst ist eine Entscheidung – und zwar meine. Wie ich diese Zeit verbringe, obliegt ebenfalls mir. Und auch, wie lange ich bereit bin zu warten. Damit entscheide ich mich bewusst gegen das Gefühl der Fremdbestimmung. Nichtsdestotrotz empfinde ich es aber als höflich und respektvoll, Termine überpünktlich wahrzunehmen und werde das auch weiter tun.

Grenzen der Freundschaft

„Echte Fründe ston zesamme“ heißt es im Lied der Höhner – idealerweise in guten und schlechten Zeiten. Und das langfristig, denn tatsächlich überstehen viele Freundschaften Jahrzehnte, manche halten sogar ein Leben lang. Aber es gibt auch Umstände – oft liegt es an den sich verändernden Menschen selbst – die Freundschaften pausieren lassen oder auch mitunter beenden. Dass es, je älter man ist, schwieriger wird neue Freunde zu finden, kann ich nicht bestätigen. Ich zähle glücklicherweise einen bunten Mix aus jungen, mittelalten und sehr alten Freundschaften zu meinem persönlichen Kosmos. Dennoch ist für mich jede Freundschaft etwas Heiliges, was in meiner Werteskala einen der Spitzenplätze einnimmt.

Zu den für mich wichtigen inneren Werten der Freundschaft zählen Vertrauen, Loyalität und Verlässlichkeit. Schließlich wollen wir uns in einer Freundschaft sicher fühlen können. Sie bildet einen geschützten Raum, in dem offen gesprochen werden kann und soll – und das schließt ausdrücklich konstruktive Kritik mit ein. So können gerade Freunde dabei helfen, zurück auf den richtigen Weg zu finden. Auch Ratschläge schätze ich von Freunden besonders; unterstelle ich in dem besonderen Verhältnis eine mir gegenüber wohlwollende und selbstlose Motivation.

Wie auch bei Bekanntschaften glaube ich bei Freundschaften daran, dass Balance zwischen Geben und Nehmen eine zentrale Rolle spielt. Ich glaube nicht an echten Altruismus und zynisch formuliert denke ich, dass jeder in eine Freundschaft investiert und sich dabei auch einen Ertrag erwartet. Das klingt jetzt ökonomischer als von mir beabsichtigt. Tatsächlich meine ich, dass die Spannbreite von Geben und Nehmen ein riesiges Feld von Gefühlen, Leistungen und manchmal sogar Geld umfasst, die sich zusätzlich auf einen unbestimmten Zeitraum verteilen.

Stimmt die Balance, fühlen sich die Freunde beide gut und wohl. Heult sich beispielsweise einer der Freunde ständig aus, hat aber kein offenes Ohr für sein Gegenüber, stimmt die Balance eben nicht. Je stärker die Einseitigkeit beim Geben und Nehmen, um so stärker fühlt sich eine Partei ausgenutzt. Stellt sich dieses Gefühl ein, empfehle ich (und beherzige das selbst auch strikt), den betrachteten Zeitraum zu erweitern. Dann ordnet sich das spontane Gefühl in einen größeren Zusammenhang ein und häufig nivellieren sich die aktuell noch großen Unterschiede: aus Bergen werden Hügelchen. Das Herz wird wieder größer und das spontane Gefühl kleiner, vielleicht sogar unwichtig.

Aber manchmal funktioniert das auch nicht. Im Gegenteil, es wird noch schlimmer und die Berge werden in der Gesamtschau zum Hochgebirge. Aus der Ungleichheit wird bei näherer Betrachtung Einseitigkeit und ich fühle mich dann erst unfair behandelt, meine Großzügigkeit missbraucht und im schlimmsten Fall sprichwörtlich zur Ader gelassen. Und genau hier beginnt für mich eine wichtige Grenze bei einer Freundschaft: Zumindest Vertrauen und Loyalität sind als elementare Werte jetzt erheblich gestört. Aber das ist ja zunächst nur meine, subjektive Sichtweise. Wie bei allem, gibt es eine zweite Seite und die erfahre ich, wenn ich das klärende Gespräch suche.

Jetzt kommt es für mich auf zwei Dinge an: Erstens, bekomme ich die Gelegenheit zum Gespräch und – selbstverständlich – wie läuft dieses ab. Ich versuche, einen Gang runterzuschalten und mir die Seite meines Gegenüber in Ruhe anzuhören. Das gelingt mal mehr und mal weniger gut, hilft aber in jedem Fall, die Worte und Körpersprache meines Freundes wahrzunehmen und zu verstehen. Das setzt ein persönliches Gespräch voraus, ein Telefonat ist schon eher suboptimal und eine asynchrone Kommunikation wie per E-Mail oder Messenger ist ziemlich ungeeignet. Letztere werden möglicherweise aus Zeitgründen bevorzugt; unter dem Strich sparen sie aber meiner Erfahrung nicht wirklich Zeit ein, führen dafür aber häufiger zu deutlich schlechteren Ergebnissen.

Und dann die Frage, wie das Gespräch verläuft. Geht man verständnisvoll in den Dialog oder mit Vorbehalten, lässt man sich auf Argumente ein, reagiert verständnisvoll oder ist man eher ablehnend, ignoriert Argumente und wirft Nebelkerzen oder betreibt im schlimmsten Fall die Strategie der Täter-Opfer-Umkehr. Kurzum in einer solchen Krise und deren Umgang zeigt sich, wie beide Parteien ihre jeweilige Seite der Dysbalance empfinden und ob sie den Willen haben, diese zugunsten der Freundschaft zu überwinden.

Leider gehen solche Gespräche auch einmal nicht gut aus und die Freundschaft zerschellt an den Felsen der beteiligten Egoismen. Das ist traurig und eine wortwörtliche Ent-Täuschung. Aber so weit muss es ja nicht kommen. Deshalb plädiere ich dafür, wach zu sein, einer möglichen Eskalation frühzeitig zu begegnen und sich gegenseitig in die Augen zu schauen. Und immer den Slogan meines früheren Unternehmens im Hinterkopf zu behalten: „Die Lösung ist Kommunikation“ – denn gedankenlesende Mentalisten sind die Wenigsten von uns.

Erwartungen zum Geburtstag

Momentan häufen sich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis die Wiegenfeste, auch mein eigenes stand kürzlich an. Zwischen Gratulationen per E-Mail, Messenger und Telefon habe ich darüber nachgedacht, wie sich im Laufe der Zeit meine eigenen Erwartungen rund um den Geburtstag verändert haben.

Soweit ich mich noch verlässlich an meine Kindheit erinnern kann, habe ich mich vor allem über die besondere Aufmerksamkeit gefreut – und natürlich über die Geschenke. Außerdem war die eigentliche Feier, die meine Eltern bis zum zehnten Geburtstag liebevoll organisierten, ein Highlight, das ich immer herbeigesehnt habe. Mit heutigen Maßstäben sicher unspektakulär, empfand ich aber die mit Spielen gefüllten Nachmittage und besondere Verpflegungen zum Ehrentag immer als außergewöhnlich und schön.

Die Geschenke spielten bis in die Pubertät hinein sicher die größte Rolle und veränderten sich von echten Spielsachen hin zu „Jungsspielzeug“, das auch neben dem spielerischen Aspekt auch eine repräsentative Komponente besaß. Diese war nicht zu unterschätzen, denn so erntete ich im Freundeskreis zusätzliche Anerkennung, worauf ich in der Zeit eben auch gesteigerten Wert legte.

Als ich meine Geburtstagsfeier mehr und mehr alleine organisierte, war mir die Auswahl der Gäste und deren Erscheinen wichtiger als deren Mitbringsel. Das hat sich auch bis heute nicht geändert: Für mich ist der Geburtstag eine wunderbare Gelegenheit, sich mit Freunden und anderen lieben Menschen zu treffen, die ich sonst vielleicht nicht so häufig sehe, sich auszutauschen und auf den neuesten Stand zu bringen.

Natürlich ist der Freundes- und Bekanntenkreis im Laufe der Jahre kräftig gewachsen und so freue ich mich auch über Anrufe, E-Mails und andere Formen der Gratulation. In meinem Kopf gibt es tatsächlich so eine Art Liste von Personen, mit deren Meldung ich rechne, welche, von denen ich keine erwarte und dann gibt es noch solche, die mich echt überraschen. Das hat sich durch die Verbindungen in den verschiedenen sozialen Netzwerken nochmals verstärkt, denn auch mich unterstützen diese, (fast) keinen Geburtstag zu verpassen und allen Menschen meine Glückwünsche zu schicken, bei denen es mir ein Bedürfnis ist.

Auch mit dieser digitalen Krücke ist mir natürlich klar, dass es immer Umstände gibt, durch die Meldungen ausbleiben, manchmal verzögert eintreffen und selbstverständlich erhebe ich bei den meisten Personen in meiner Umgebung nicht die gleichen Ansprüche wie an mich selbst, was Gratulationen angeht: Für mich sind sie – je nach Ausgestaltung und Verhältnis zur jeweiligen Person – Ausdruck von Sympathie, Verbundenheit, Respekt und Anerkennung, manchmal auch „nur“ Höflichkeit.

Die Digitalisierung bietet aber noch mehr Möglichkeiten und so habe ich in diesem Jahr eine neue Erwartung bei mir entdeckt: Gratulationen von Organisationen, bei denen ich Kunde bin. Bis vor ein paar Jahren hat mir beispielsweise mein Hausarzt immer eine Grußkarte geschickt oder mein Motorradhändler sogar einen Gutschein. Der postalische Weg wird immer seltener, was ich aber auch nicht bedauere.

Seit rund zehn Jahren – ich habe mich in einem spätpubertären Anfall auf der Plattform eGun angemeldet – ist ausgerechnet diese Plattform immer die erste am Tage, die Glückwünsche per E-Mail schickt. Das ist inzwischen zu einem Running Gag geworden – bringt mich aber zu der Frage, wieso bekommen eigentlich nur diese Herrschaften das auf die Reihe? Wenn ich darüber nachdenke, an wie vielen Stellen ich mein Geburtsdatum hinterlassen muss, fällt die Zahl der digitalen Grüße doch äußerst bescheiden aus.

Technisch ist das wirklich kein Hexenwerk, wie mir einzelne Anbieter oder Vereine zeigen. Aber das Gros – ich denke an meine Krankenkasse, die Bank, große Handelsunternehmen und eben alle Organisationen, die eine Menge Geld mit mir umsetzen – versagt (auch) in dieser Hinsicht. Ich erwarte durchaus keine Gutscheine, Rabatte oder ähnliches, aber wäre es nicht ein kurzer Gruß im Sinne einer wertschätzenden und respektvollen Kundenbeziehung eine Selbstverständlichkeit?

Ich merke jedenfalls, wie mich das mehr ärgert, als ich zunächst erwartet hätte. Und apropos, ich bin mal gespannt, welche Erwartungen sich mit der gerade beginnenden fünften Dekade meines Lebens noch so entwickeln …